Selbstständigkeit

Kinners, wie die Zeit vergeht… Eine doofe Floskel, die ich früher immer lächerlich fand. Wenn ich allerdings auf das letzte Jahr zurückblicke, erschrecke ich mich regelrecht. Das war ein ICE, der da an mir vorbei donnerte. (okay, okay, das Beispiel hinkt für die, die mir bei Twitter folgen ;))

Vor etwas über einem Jahr habe ich dem Lehrerleben den Rücken gekehrt und mich in das Haifischbecken und das Spannungsfeld von Bildung und Wirtschaft, Idealismus und Kommerz gestürzt. Ich möchte vorweg nehmen, dass ich natürlich nicht ohne Vorbereitung ausgestiegen bin und nicht komplett naiv diesen Schritt gegangen bin. Jahre lange Vorbereitung und der Ausbau eines Netzwerkes gingen voraus genauso wie ein Grundverständnis von „dem Leben da draussen“. Das sollte jeder beachten, der diesen Schritt auch wagen möchte.

Ich blicke nun zurück und kriege ein Kribbeln im Bauch. Ich habe mich im August 2018 selbstständig gemacht und war 15 Jahre lang gewohnt, mein Gehalt kontinuierlich steigend auf mein Konto zu bekommen. Natürlich auch in den Ferien. Ey… da kam dieses Jahr nichts… kein Pfennig! Das beginnt ja super, dachte ich. Die Schulen hatten geschlossen und die Auftragslage war übersichtlich bis Anfang September. Daran hatte ich nicht gedacht und war nervös. Das war es also, wovor mich alle warnten. Nun denn, Rücklagen waren da, Urlaub war ja auch schön und im September ging es dann los. Dadurch, dass ich nun vielen Kunden quasi mehr zur Verfügung stand als vorher und man mit mir mehr und längerfristig rechnen konnte, ging es auch gleich rasant los. Das ursprüngliche Standbein, die Schulungen, sicherten mir zunächst mein Einkommen und nahmen mehr und mehr zu. Für mich war aber schnell klar, dass ich nicht auf ein Pferd setzen will und darf.

Die Eventplanungen nahmen mehr und mehr zu, was für mich eine unglaublich erfüllende Aufgabe ist. #molol, WES4.0, Tabletdays, ExcitingEdu, digitaleschule.bayern… tolle Veranstaltungen getragen von wundervollen, aktiven Gestalterinnen und genauso tollen Teilnehmerinnen. Die Events werden immer größer und umfangreicher, die landesweite Bedeutung hätte ich zum Teil nie erwartet. Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als etwas 6 Monate geplant zu haben, abends mit den Gedanken ins Bett gegangen zu sein und dann am Tage des Events vor 800 Menschen zu stehen, die Mühen, Zeit und Geld investiert haben und nun erwartungsvoll auf das Warten, was da kommen möge. Einige der Tagungen sind so etwas wie ein Baby, das man groß zieht und das sich entwickelt.

Tatsächlich erkannte ich durch die Zunahme der Planungsanfragen, dass ich über etwas verfüge, was ich in meinen Vorträgen immer forderte: ein Netzwerk. Dieses Netzwerk ist es, das mir dies alles ermöglicht. Ein Netzwerk aus Lehrerinnen, Firmenmenschen, Stiftungsmenschen, Kultusmenschen, Fortbildnerinnen, Visionären, Querdenkerinnen und Spinner*innen. Ich liebe dieses Netzwerk und möchte mich hier mit einem herzlichen Dank an all die wenden, die mich dabei unterstützen, die dieses Netzwerk tragen und ausbauen. Ein Netzwerk, das ständig wächst, das sich öffnet und eine Tür für jeden offen hält. Ein Netzwerk aber auch, das leider teilweise bescheuerte Hierarchien und Fronten aufbaut, wie es leider normal zu sein scheint. Durch eben dieses wird mir aber viel ermöglicht.

Als weiteres Standbein zeigte sich, dass einige Menschen offenbar gerne meinen Worten zuhören und ich zu immer mehr Veranstaltungen geladen werde, um meine Erfahrungen und Visionen zu teilen. Ich liebe das… irgendwo steckt doch eine Rampensau in mir, was ich nie gedacht hätte. Es ist toll, wie z.B. letzte Woche in Frankfurt auf der Bildungsmesse, vor vielen Hundert Menschen zu sprechen, Fußabdrücke zu hinterlassen und vor allem, danach weiter in Kontakt mit Zuhörern zu bleiben. Diese Synergien bedeuten mir sehr viel. Tatsächlich gibt es kaum etwas Schöneres, wenn Menschen, die ich auf einer Schulung im Schwarzwald traf, zu meinen Events nach Oldenburg kommen. Diese länderübergreifende Vernetzung möchte ich mit diesen Formaten schaffen und habe nun natürlich die Freiheiten, sie entgegen bürokratischer und menschelnder Widerstände durchzuführen. Was mich gedanklich zu etwas führt, dessen man sich bei einem Schritt wie diesem mehr als bewusst sein sollte.

Das Lehrerkollegium ist eine Kuschelgruppe zur Welt da draussen!

Ich schmälere hiermit mitnichten die Leistungen und Anstrengungen in diesem Job, das wird hoffentlich auch niemand herauslesen. Bitte glaubt mir, ich kenne Konflikte in der Schulwelt. In allen Ausprägungen sogar…Fakt ist aber, dass die Geschütze derer, denen du zu nahe kommst, denen du Konkurrenz wirst oder die dir schaden wollen, wesentlich schwerer sind. Man muss vieles lernen in der neuen Welt, sich durchzuboxen gehört ganz weit oben dazu. Allerdings ist eine andere Eigenschaft beinahe noch wichtiger und die ist bei „uns Lehrern“ eben geprägt durch die Schule. Man muss lernen, seinen eigenen Wert und seine eigenen Talente zu erkennen. Und das meine ich nicht nur monetär, sondern sehr persönlich. Schule hat mir eines nie gezeigt, nämlich, dass es ein Belohnungsprinzip gibt, in dem es sich wirklich lohnt, mehr zu leisten als andere. Warum sollte man das anstreben wenn es letztlich zu mehr Arbeit, mehr Frust und immer weniger Entlastung führt? Nun zeigt sich mir plötzlich, dass jegliche Art der Mehrarbeit damit belohnt wird, neue Kontakte zu knüpfen, neue Aufträge zu generieren und somit finanziell unabhängig zu sein. Diese Unabhängigkeit ist so unfassbar wertvoll. Ich habe diesen Luxus momentan und kann mir aussuchen, was ich annehme und was ich ablehne. Noch toller allerdings ist, dass ich frei bin im Kopf und im Handeln. Frei, mich weiterzuentwickeln, neue Wege zu gehen und frei, die (bislang) richtige Wahl zu treffen. Ich kenne die dunkle Seite noch nicht und hoffe, sie bleibt mir weiterhin erspart.

Diese Freiheit eröffnete mir gänzlich neue, spannende Tätigkeitsfelder in der betrieblichen Bildung. Ich, der diese Welt noch nie vorher zu Gesicht bekam. Bin ich gut genug für Betriebe? Gar Weltkonzerne? Kann ich mit Azubis arbeiten oder deren Ausbildern? Reicht meine Qualifikation? Fragen, die man sich stellt und Herausforderungen, die man dann mutig angehen kann. Seit zwei Jahren betreue ich Firmen in dem Changeprozess der betrieblichen Ausbildung und bekomme dort Impulse, die mir Dinge wie die 4K und andere Modelle und Ansätze ins rechte Licht rücken. Nach zwei Jahren weiss ich, dass ich alle obige Fragen mit ja beantworten kann und mehr von dieser Welt sehen will. Eine befriedigendere Aufgabe habe ich selten erlebt… der Druck der Wirtschaft trifft auf die Ängste der Lehrenden. Ein Spannungsfeld, in dem nur eines zählt: die menschliche Komponente. Darauf aufbauend biete ich nun sogar Seminare mit tollen Menschen zusammen an, in denen wir Firmen Impulse geben, Veränderungsprozesse aufzeigen und Lösungswege mit ihnen erarbeiten. Ein weiteres forderndes Standbein.

Komme ich abschließend zu zwei weiteren Betätigungsfeldern… Erstens, dem Beraten von Schulträgern und Schulen. Im Zuge des Digitalpaktes nimmt auch das erwartungsgemäß exponentiell zu. Schulen suchen nach Wegen, Schulträgern nach schneller Hilfe. Mir bereitet es hierbei wenig Freude, einmalig Impulse zu setzen, sondern die Schulen nachhaltig und im Prozess zu begleiten. Zu sehen, dass man mehr als einen Fußabdruck hinterlässt, sondern dabei hilft, Schule weiter zu entwickeln ist unglaublich erfüllend.

Ich betrete neue Welten, stelle mich neuen Herausforderungen, bilde mich in unbekannten Bereichen weiter. Mein Gott, wann hatte ich da das letzte Mal Zeit für? Und wann habe ich das letzte Mal erlebt, dass ich durch neue Aufgaben so gefordert werde, dass ich mich selbst neu hinterfragen muss? Dass ich merke, an Grenzen zu stoßen? Es ist ein ständiges Weiterentwickeln, das ich mir gönne, das man mir abverlangt und das mich wachsen lässt. Ich weiss, es gibt Ausbaubedarf in meinem diplomatischen Geschick und ich habe mir vor vielen Jahren eines geschworen: Ich werde und möchte nicht mit Menschen arbeiten, mit denen ich nicht klar komme. Ein Ansatz, der nach einem hohem Ross klingt, der mir aber sehr wichtig ist. Und bislang konnte ich das konsequent durchsetzen. Das heißt aber auch, dass ich durch die fehlenden Diplomatie- Skills und meine geradlinige „Kodderschnauze“ so manche Tür schließe und das auch nicht bereue. Es bedingt aber natürlich, dass ich mich nie abhängig machen darf.

Authentizität ist eine der wesentlichen Eigenschaften im Lehrerleben und ich glaube, das stand mir. Im neuen beruflichen Leben wurde mir schon häufiger geraten, vorsichtiger zu sein, Dinge oder ein bestimmtes Vorgehen nicht zu kritisieren, weil es taktisch unklug sei. Ich sag mal so „vergesst es!“. Ich liebe was ich mache und gebe bei allen Dingen so viel Prozent wie ich kann und oft über die Maßen des Gesunden und Sinnvollen hinaus. Eines allerdings wird nie passieren: Dass ich Dinge tue, hinter denen ich nicht stehe!

Ich wollte vor einem Jahr aus dem Hamsterrad Schule heraus und spürte ganz einfach, dass die Zeit gekommen war. Ich war 15 Jahre Vollblutlehrer, hatte 2 Jahre Schulleitung ausprobiert (und für wenig sexy erachtet), unterstützte 5 Jahre die Medienberatung in Niedersachsen (und habe dies geliebt). Dennoch musste ich raus aus diesem Korsett der Formalitäten, Bremsen und des Stillstands. Ich brauchte mehr Freiheit, mehr Entscheidungskraft und vor allem mehr Möglichkeiten, mich weiter zu entwickeln. In meinen Augen bietet das Bildungssystem dies viel zu wenig. Schulentwicklung setzt Persönlichkeitsentwicklung voraus und das System Schule hat dafür weder Zeit noch ist es gewünscht, neue Wege zu gehen und/oder über den Tellerrand blicken zu lassen. Man denkt viel zu klein, viel zu kleinkariert. Jedes Bundesland für sich, jeder Träger für sich, jede Schule für sich… ja sogar jedes Referat/ jede Abteilung und jede Fachschaft „muckelt“ am liebsten alleine herum. Das ist schwer zu ertragen. Wer da anderer Meinung ist, dem rate ich, als Niedersachse einen Event in einem anderen Bundesland unter seiner eigenen Flagge anzubieten. Ihr werdet Dinge erleben, die so haarsträubend sind, dass sie schon wieder an Comedy erinnern. Befindlichkeiten und Revierkämpfe sind der größte Killer jeglicher Schulentwicklung.

Das System von aussen zu betrachten, in Schulen zu kommen und Spuren zu hinterlassen, erinnert mich immer ein wenig an die Rolle von Omas und Opas… jeder freut sich auf dich (wenn der Besuch kurz ist), du fackelst ein Feuerwerk ab und verschwindest, wenn alle müde werden. Herrlich. Die werden aber noch nicht einmal dafür bezahlt. 😉

Dieser kleinen Anekdote fehlt ein wenig die Struktur und wisst ihr was? Das ist mir gerade egal. Ich musste es schreiben und hoffe, es liest jemand. Leider warten aber Konzepte, Angebote, Rechnungen, DUNS Nummern- Anträge, Steuern und juristische Scharmützel auf dem (ICE-) Schreibtisch… Ja, die andere Seite der Medaille, die ich hier nur kurz andeute. Leute Leute, ich muss mich mit einem formalen Käse herumschlagen, der viel schlimmer ist als schulische Bürokratie. Aber er ist meiner. Ganz alleine. Mit allen Erfolgen und Tiefschlägen… und das fühlt sich gut an.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert.

Beitragskommentare